Platon "Kriton" 24.09.20

Platon, Kriton

Prüfung durch Sokrates (1): Festhalten am βέλτιστος λόγος

46b1–d7

46
Text nach Burnet
Kommentar / Übersetzung nach Schleiermacher

Kriton hat seine Argumente vorgebracht, mit denen er Sokrates überreden will, aus dem Gefängnis zu fliehen:
1. Wie stehen seine Freunde da, wenn sie Sokrates nicht retten, obwohl es möglich gewesen wäre?
2. Es ist genügend Geld vorhanden.
3. Sokrates wird überall als Freund aufgenommen werden.
4. Er lässt seine Söhne im Stich.
5. Es ist jetzt die letzte Gelegenheit.
Nun antwortet Sokrates:

 


b 1



5



c



5



d



5

     ΣΩ. Ὦ φίλε Kρίτων, ἡ προθυμία σου πολλοῦ ἀξία, εἰ
μετά τινος ὀρθότητος εἴη· εἰ δὲ μή, ὅσῳ μείζων, τοσούτῳ
χαλεπωτέρα. Σκοπεῖσθαι οὖν χρὴ ἡμᾶς, εἴτε ταῦτα πρακτέον
εἴτε μή· ὡς ἐγὼ οὐ νῦν πρῶτον, ἀλλὰ καὶ ἀεὶ τοιοῦτος, οἷος
τῶν ἐμῶν μηδενὶ ἄλλῳ πείθεσθαι ἢ τῷ λόγῳ, ὃς ἄν μοι
λογιζομένῳ βέλτιστος φαίνηται. Τοὺς δὴ λόγους, οὓς ἐν τῷ
ἔμπροσθεν ἔλεγον, οὐ δύναμαι νῦν ἐκβαλεῖν, ἐπειδή μοι
ἥδε ἡ τύχη γέγονεν, ἀλλὰ σχεδόν τι ὅμοιοι φαίνονταί μοι,
καὶ τοὺς αὐτοὺς πρεσβεύω καὶ τιμῶ, οὕσπερ καὶ πρότερον·
ὧν ἐὰν μὴ βελτίω ἔχωμεν λέγειν ἐν τῷ παρόντι, εὖ ἴσθι,
ὅτι οὐ μή σοι συγχωρήσω, οὐδ᾽ ἂν πλείω τῶν νῦν παρόν-
των ἡ τῶν πολλῶν δύναμις ὥσπερ παῖδας ἡμᾶς μορμο-
λύττηται, δεσμοὺς καὶ θανάτους ἐπιπέμπουσα καὶ χρημάτων
ἀφαιρέσεις. Πῶς οὖν ἂν μετριώτατα σκοποίμεθα αὐτά; Εἰ
πρῶτον μὲν τοῦτον τὸν λόγον ἀναλάβοιμεν, ὃν σὺ λέγεις
περὶ τῶν δοξῶν. Πότερον καλῶς ἐλέγετο ἑκάστοτε ἢ οὔ,
ὅτι ταῖς μὲν δεῖ τῶν δοξῶν προσέχειν τὸν νοῦν, ταῖς
δὲ οὔ; Ἢ πρὶν μὲν ἐμὲ δεῖν ἀποθνῄσκειν καλῶς ἐλέγετο,
νῦν δὲ κατάδηλος ἄρα ἐγένετο, ὅτι ἄλλως ἕνεκα λόγου
ἐλέγετο, ἦν δὲ παιδιὰ καὶ φλυαρία ὡς ἀληθῶς; Ἐπιθυμῶ
δ᾽ ἔγωγ᾽ ἐπισκέψασθαι, ὦ Kρίτων, κοινῇ μετὰ σοῦ, εἴ τί
μοι ἀλλοιότερος φανεῖται, ἐπειδὴ ὧδε ἔχω, ἢ ὁ αὐτός,
καὶ ἐάσομεν χαίρειν ἢ πεισόμεθα αὐτῷ.
[Übersetzung]
Sokrates: Deine Sorge um mich, du lieber Kriton, ist viel wert, wenn sie nur irgend mit dem Richtigen bestehen könnte, wo aber nicht, so ist sie je dringender um desto peinlicher. Wir müssen also erwägen ob dies wirklich tunlich ist oder nicht. Denn nicht nur jetzt, sondern schon immer habe ich ja das an mir, daß ich nichts anderem von mir gehorche, als den Gründen, die sich mir bei den Untersuchungen als die besten zeigten. Das aber was ich schon ehedem in meinen Reden ausgesprochen habe, kann ich ja nun nicht verwerfen, weil mir dieses Schicksal geworden ist, sondern jene Reden erscheinen mir noch ganz als dieselben, und ich schätze und ehre sie noch eben so wie vorher. Wenn wir also nicht bessere als diese, jetzt vorzutragen haben, so wisse nur, daß ich dir nicht nachgeben werde, und wenn auch die Macht der Menge noch mehr als schon geschieht, um uns wie Kinder einzuschrecken, Gefangenschaft und Tod auf uns los ließe und Verlust des Vermögens. Wie können wir also dies recht zu unserer Befriedigung untersuchen? Wenn wir zuerst den Satz aufnehmen wegen der Meinung, von dem du sprichst, ob wohl für jeden Fall gut gesagt war oder nicht, daß man auf einige Meinungen zwar achten müsse, auf andere aber nicht? Oder ob es zwar bevor ich sterben sollte, gut gesagt war, nun aber offenbar geworden ist, daß es nur obenhin des Redens wegen gesagt, in der Tat aber nichts war als Scherz und Geschwätz? Ich meines Teils habe Lust, Kriton, dies mit dir gemeinschaftlich zu untersuchen, ob diese Rede mir jetzt etwa wunderlicher erscheinen wird, nun es so mit mir steht, oder noch eben so, und dem gemäß wollen wir sie entweder gehen lassen oder ihr gehorchen.
b1 ἡ προθυμία (vgl. προθυμέομαι) die Bereitwilligkeitἀξία erg. ἐστίν — b2 ἡ ὀρθότης, -ητος (vgl. όρθός) die Richtigkeitὅσῳ … τοσούτῳ je … destoμείζων, χαλεπωτέρα → Steigerungb3 σκοπεῖσθαι (Med.) für sich prüfenεἴτε … εἴτε sei es dass … oder dass, hier: ob … oderπρακτέον Verbaladjektiv auf -έος; zu übs. wie ein unpersönl. Gerundiv: man muss …b4 τοιοῦτος, οἷος erg.: τοιοῦτός <εἰμι>, οἷος ein solcher bin, der


b6 ἐν τῷ ἔμπροσθεν früher, bei früheren Gelegenheitenb7 ἐκβαλεῖν Vorsilbe ἐκ-: hinaus; → Stf; — b8 γέγονεν → Stfτι irgendwieὅμοιοι erg.: εἶναι — c1 πρεσβεύω in Ehren halten, schätzenτοὺς αὐτοὺς …, οὕσπερ dieselben …, diec2 ὧν relativer Satzanschluss; aber auch Genitivus comparationis — βελτίω → Steigerung und → Deklinationἐν τῷ παρόντι zum gegenwärtigen Zeitpunktἴσθι → Konjug.c3 οὐ μή nach vorangegangenem verneinten Satz (c2), entspricht einem einfachen οὐ — πλείω → Steigerungτῶν νῦν παρόντων Gen. comparationis; παρών, -οῦσα, -όν gegenwärtigc4 ἡ τῶν πολλῶν δύναμις die Macht der Menge ist das Subjekt. — μορμολύττομαι (transitiv) jemanden erschreckenc5 ἐπι-πέμπω wörtl.: zu-schickenχρημάτων ἀφαιρέσεις Vermögensverlustc6 μετριώτατα (Adv.) am angemessensten


d1 ὅτι nimmt inhaltlich das καλῶς ἐλέγετο auf und entfaltet es: nämlich dassπροσέχειν τὸν νοῦν τινι den Sinn auf etw. richtend2  Ἢ πρὶν … Ordne so: Ἢ πρὶν μὲν καλῶς ἐλέγετο ἐμὲ δεῖν ἀποθνῄσκειν – von ἐλέγετο hängt also ein AcI ab — d3 νῦν δὲ das νῦν δὲ nimmt das πρὶν μὲν von d2 auf — ἄλλως (Adv.) andersἕνεκα λόγου ἕνεκα sonst eig. nachgestellt; übs.: nur um der Rede willend4 ἦν δὲ ist das Gegenteil von ἐλέγετο: Sagen und Sein — ὡς ἀληθῶς in Wahrheitd5 κοινῇ μετὰ σοῦ zusammen mit dirτί s.o. b8 — d6 ἀλλοιότερος Komp. von ἀλλοῖος eher andersφανεῖται → Stfὧδε ἔχω ἔχω mit Adv. heißt immer ich befinde mich in einem Zustand; vgl. εὖ ἔχω es geht mir gutὁ αὐτός ist die Alternative zu ἀλλοιότερος; übs. hier mit noch ebensod7 ἐάσομεν χαίρειν (ἐάω → Stf) gehen lassenπεισόμεθα → Stf