Sophokles, Antigone 1. Stasimon, VV. 332–375 11.11.16

Sophokles, Antigone

1. Stasimon

 
Text nach Pearson
Kommentar / Übersetzung (Hellmut Flashar)


332


335




340



Χορος


στρ.
πολλὰ τὰ δεινὰ κοὐδὲν ἀν-
θρώπου δεινότερον πέλει·
τοῦτο καὶ πολιοῦ πέραν
πόντου χειμερίῳ νότῳ
χωρεῖ, περιβρυχίοισιν
περῶν ὑπ’ οἴδμασιν, θεῶν
τε τὰν ὑπερτάταν, Γᾶν
ἄφθιτον, ἀκαμάταν ἀποτρύεται,
ἰλλομένων ἀρότρων ἔτος εἰς ἔτος
ἱππείῳ γένει πολεύων.
[Übersetzung]
Chor
Viel Ungeheures ist, doch nichts
so Ungeheures wie der Mensch.
Der fährt auch über das graue Meer
im Sturm des winterlichen Süd
und dringt unter stürzenden Wogen durch.
Und der Götter heiligste, die Erde,
die unerschöpfliche, unermüdliche,
plagt er ab,
mit wendenden Pflügen Jahr um Jahr
sie umbrechend mit dem Rossegeschlecht.
(Strophe 1)



332 κοὐδέν καὶ οὐδέν

333 πέλει = ἐστίν

334 πολιός grauπέραν (Präp. mit Gen.) über

335 χειμέριος (v. χειμών)winterlichὁ νότος Südwind

336 χωρέω gehenπεριβρυχίοισιν περῶν ὑπ' οἴδμασιν im sturmbewegten, wogenden Meere

338 τὰν ὑπερτάταν (dor. Dialekt: α für η) = τὴν ὑπερτάτην die höchste (ὑπέρτατος ist Superlativ v. ὑπέρ) — Γᾶν = Γῆν

339 ἄφθιτος unvergänglich, ewigἀκάματος unermüdlichἀποτρύω aufreiben, ausbeuten
340 ἴλλω drehen, wälzenτὸ ἄροτρον Pflug (vgl. lat. aratrum)

341 πολεύω umwenden, pflügen




345



350


ἀντ.
κουφονόων τε φῦλον ὀρ-
νίθων ἀμφιβαλὼν ἀγρεῖ
καὶ θηρῶν ἀγρίων ἔθνη
πόντου τ’ εἰναλίαν φύσιν
σπείραισι δικτυοκλώστοις,
περιφραδὴς ἀνήρ· κρατεῖ
δὲ μηχαναῖς ἀγραύλου
θηρὸς ὀρεσσιβάτα, λασιαύχενά θ’
ἵππον ὑπαξέμεν ἀμφίλοφον ζυγὸν
οὔρειόν τ’ ἀκμῆτα ταῦρον.
[Übersetzung]
Und der leichtsinnigen Vögel Schar
holt er mit seinem Garn herein
und der wilden Tiere Völker und
die Brut des Meeres in der See
mit netzgesponnenen Schlingen:
der alles bedenkende Mann. Er bezwingt
mit Künsten das draußen hausende Wild,
das auf Bergen schweift,
und schirrt das rauhnackige Pferd
an dem Hals unters Joch
und den unermüdlichen Bergstier.
(Gegenstrophe 1)


342 κοουφόνους mit leichtem Sinnφῦλον ὀρνίθων das Volk der Vögel

343 ἀμφιβαλών um … herum werfen, umstellenἀγρεῖ v. ἀγρέω fangen


345 εἰνάλιος (ἐν ἀλί) im Meer lebend

346 σπεῖρα Schlinge, Netzδικτυόκλωστος netzartig gesponnen

347 περιφραδής, -ές überaus klug, geschickt

348 ἄγραυλος wild

350 ὁ θήρ, θηρός = τὸ θηρίον — ὀρεσσιβάτης (ὀρεσσιβάτα: dor. Gen.) auf den Bergen gehend/lebendλασιαύχην mit dichter Mähne351 ὑπαξέμεν (äol. Inf. Fut.) darunterführen (unter's Joch)ἀμφίλοφος eng um den Nacken liegendὁ ζυγός Joch
352 οὔρειος Berg-… (zu ταῦρον) — ἄκμητος unermüdlich



356


360


στρ.
καὶ φθέγμα καὶ ἀνεμόεν
φρόνημα καὶ ἀστυνόμους
ὀργὰς ἐδιδάξατο καὶ δυσαύλων
πάγων ὑπαίθρεια καὶ
δύσομβρα φεύγειν βέλη
παντοπόρος· ἄπορος ἐπ’ οὐδὲν ἔρχεται
τὸ μέλλον· Ἅιδα μόνον
φεῦξιν οὐκ ἐπάξεται·
νόσων δ’ ἀμαχάνων φυγὰς
ξυμπέφρασται.
[Übersetzung]
Auch die Sprache und den windschnellen
Gedanken und städteordnenden Sinn
bracht er sich bei, und unwirtlicher Fröste
Himmelsklarheit zu meiden und bösen Regens
Geschosse, allerfahren. Unerfahren
geht er in nichts dem Kommenden entgegen.
Vor dem Tod allein
wird er sich kein Entrinnen schaffen.
Aus Seuchen aber, unbewältigbaren,
hat er sich Auswege
ausgesonnen.
(Strophe 2)


353 φθέγμα = ἡ φονή Stimme, Spracheἀνεμόεις, -εσσα, -εν windreich, hier: windschnell
354 ἀστύνομος (aus ἀστύ und νόμος) städteordnend

356 ἡ ὀργή hier: Verlangen, Triebδύσαυλος πάγος unwirtlicher Frost

357 ὑπαίθρειος unter freiem Himmel
358 δύσομβρος widrigen Regen bringendτὸ βέλος, -ους das Geschoss

360 παντοπόρος (aus πᾶν und πόρος Weg): in allen Dingen geschicktἄπορος weglos, ratlos, mittellos
361 τὸ μέλλον das Kommende, die ZukunftἍιδα (dor. Gen.): Ἅιδου. Gen. obiectivus!
362 ἡ φεῦξις die Fluchtἐπάγομαι für sich gewinnen, sich verschaffen

363 νόσοι ἀμήχανοι unheilbare Krankheiten

364 συμφράζομαι sich zusammen ausdenken, gemeinsam ersinnen

365




370



375


ἀντ.
σοφόν τι τὸ μηχανόεν
τέχνας ὑπὲρ ἐλπίδ’ ἔχων
τοτὲ μὲν κακόν, ἄλλοτ’ ἐπ’ ἐσθλὸν ἕρπει,
νόμους περαίνων χθονὸς
θεῶν τ’ ἔνορκον δίκαν·
ὑψίπολις· ἄπολις ὅτῳ τὸ μὴ καλὸν
ξύνεστι τόλμας χάριν.
μήτ’ ἐμοὶ παρέστιος
γένοιτο μήτ’ ἴσον φρονῶν
ὃς τάδ’ ἔρδοι.
[Übersetzung]
In dem Erfinderischen der Kunst
eine nie erhoffte Gewalt besitzend,
schreitet er bald zum Bösen, bald zum Guten.
Achtet er die Gesetze des Lands
und das bei den Göttern beschworene Recht:
hoch in der Stadt! Verlustig der Stadt,
wem das Ungute sich gesellt
wegen seines Wagemuts! -
Sitze mir nicht am Herd
noch habe Teil mit mir am Rat,
wer so tut!
(Gegenstrophe 2)



366 τέχνας dor., also Gen. Sg. — ὑπὲρ ἐλπίδ’ (ὑπὲρ ἐλπίδος) mehr als erhofft

367 τοτὲ μὲν … ἄλλοτ’ bald … baldκακὸν / ἐσθλὸν ἕρπει er schreitet zum …

369 ἔνορκον δίκαν (dor.!) das durch Götterschwur heilige Recht

370 ὑψίπολις hoch in der Stadtἄπολις ὅτῳ ohne den Schutz der Stadt ist jeder, dem …
371 τόλμας χάριν um des Wagemuts willen, aus Verwegenheit

372 παρέστιος Herdgenosse



375 ἔρδοι 3. P. Opt. von ἔρδω tun






380


(Das Stasimon ist hier zuende. Nun folgt ein Übergang.)

ἐς δαιμόνιον τέρας ἀμφινοῶ
τὸ δὲ πῶς εἰδὼς ἀντιλογήσω
μὴ οὐ τήνδ’ εἶναι παῖδ’ Ἀντιγόνην;
ὦ δύστηνος
καὶ δυστήνου πατρὸς Οἰδιπόδα,
τί ποτ’; οὐ δή που σέ γ’ ἀπιστοῦσαν
τοῖς βασιλείοισιν ἄγουσι νόμοις
καὶ ἐν ἀφροσύνῃ καθελόντες;
[Übersetzung]
(Übs. nach W. Schadewaldt)
Doch vor diesem göttlichen Schreckbild dort zweifelt mein Sinn.
Wie kann ich leugnen, was ich doch seh:
dass dies Kind nicht Antigone sei? –
O Unglückselige und Kind
des unglückseligsten Vaters, des Ödipus!
Wie denn? sie bringen dich doch nicht,
weil sie dich ungehorsam den königlichen Gesetzen
und im Unverstand ergriffen?




376 τὸ τέρας Wunderzeichen —  ἀμφινοῶ (ἀμφί + νοέω) im Zweifel sein; ἔς τι: über etwas
377 εἰδὼς ἀντιλογέω wissend dagegen sprechen, wider besseres Wissen behaupten


379 δύστηνος unglücklich

380 Οἰδιπόδα dor. Gen.!

381 ἀπιστέω = ἀπειθέω ungehorsam sein


384 καθελόντες v. κατά + αἱρέω ergreifen → Stf