Platon Politeia Buch VI, 507 b2–509 b10 07.03.15

Platon, Politeia Buch VI

507 b2–509 b10: Das Sonnengleichnis (zum Gedankengang s. hier!)

St. II
507
Griechischer Text nach Burnet (Oxford 1902)
Kommentar / Übersetzung
Das Gute selbst darzustellen ist für den Stand der Erörterung in der Politeia zu weitführend. Daher will Sokrates einen „Sprössling“ vorstellen, der dem Guten sehr ähnlich ist.
b2
Πολλὰ καλά, ἦν δ᾽ ἐγώ, καὶ πολλὰ ἀγαθὰ καὶ ἕκαστα
οὕτως εἶναί φαμέν τε καὶ διορίζομεν τῷ λόγῳ.
[Übersetzung]
Dass es viel Schönes, sagte ich, und viel Gutes gibt, und dass es bei allem so ist, behaupten wir und definieren wir durch den Begriff.

b2 πολλὰ καλά Gemeint ist eine Vielzahl existierender schöner Dinge; neben den καλά gibt es auch ἀγαθά und viele weitere (ἕκαστα) Dinge — διορίζομεν τῷ λόγῳ durch den Begriff abgrenzen, definieren
Φαμὲν γάρ.
[Übersetzung]
Ja.

5
Καὶ αὐτὸ δὴ καλὸν καὶ αὐτὸ ἀγαθόν, καὶ οὕτω περὶ πάντων
ἃ τότε ὡς πολλὰ ἐτίθεμεν, πάλιν αὖ κατ᾽ ἰδέαν μίαν ἑκάστου
ὡς μιᾶς οὔσης τιθέντες, «ὃ ἔστιν» ἕκαστον προσαγορεύομεν.
[Übersetzung]
Und schön an sich und gut an sich, ebenso wie bei allem, was wir damals als Vieles begriffen, nun aber wiederum jeweils gemäß einer einzigen Idee als Erscheinungsformen eines Einzigen begreifen, all das bezeichnen wir doch jeweils als das „was es ist“.

b5 αὐτὸ καλόν schön an sich. Es geht hier um die Differenz von dem Ding und seiner Bezeichnung als „schön“. Sokr. sagt, dass hinter der Bezeichnung „schön“ eine Idee des Schönen steckt. Indem wir diese Idee kennen, können wir sie in dem schönen Ding wiedererkennen und es deshalb als schön bezeichnen. — b6–7 ἐτίθεμεν … τιθέντες setzen i. S. v. definitorisch festsetzenb6 ἰδέαν „Idee“ bedeutet hier nicht „Einfall“, sd. „noetische Entität“ (nur dem Denken zugänglicher Gegenstand)
Ἔστι ταῦτα.
[Übersetzung]
So ist es.


10
Καὶ τὰ μὲν δὴ ὁρᾶσθαί φαμεν, νοεῖσθαι δ᾽ οὔ, τὰς δ᾽ αὖ
ἰδέας νοεῖσθαι μέν, ὁρᾶσθαι δ᾽ οὔ.
[Übersetzung]
Und der eine Bereich, die vielen Dinge, ist nach unserer Behauptung sichtbar aber nicht denkbar, die Ideen indes sind denkbar, aber nicht sichtbar.

b9 ὁρᾶσθαί … νοεῖσθαι mit den Augen bzw. mit dem Verstand wahrnehmen. Warum steht hier Medium?
Παντάπασι μὲν οὖν.
[Übersetzung]
Auf jeden Fall.

c
Τῷ οὖν ὁρῶμεν ἡμῶν αὐτῶν τὰ ὁρώμενα;
[Übersetzung]
Mit welcher unserer unmittelbaren Fähigkeiten sehen wir nun die sichtbaren Dinge?

c1 Τῷ … ἡμῶν αὐτῶν womit an uns, also mit welcher unserer uns gegebenen Fähigkeiten
Τῇ ὄψει, ἔφη.
[Übersetzung]
Mit dem Gesichtssinn, erwiderte er.

c1 ἡ ὄψις, -εως das Sehen, der Gesichtssinn
Οὐκοῦν, ἦν δ᾽ ἐγώ, καὶ ἀκοῇ τὰ ἀκουόμενα, καὶ ταῖς ἄλλαις
αἰσθήσεσι πάντα τὰ αἰσθητά;
[Übersetzung]
Also, sagte ich, auch mit dem Gehör das Hörbare und mit den übrigen Sinnen alles sinnlich Wahrnehmbare?

c3 ἡ ἀκοή, -ῆς der Gehörsinn, das Gehörc4 ἡ αἴσθησις, -εως hier: der (Wahrnehmungs-)Sinnαἰσθητός Verbaladj. wahrnehmbar
5
Τί μήν;
[Übersetzung]
Warum nicht?

Ἆρ᾽ οὖν, ἦν δ᾽ ἐγώ, ἐννενόηκας τὸν τῶν αἰσθήσεων
δημιουργὸν ὅσῳ πολυτελεστάτην τὴν τοῦ ὁρᾶν τε καὶ
ὁρᾶσθαι δύναμιν ἐδημιούργησεν;
[Übersetzung]
Hast du also, fragte ich, bemerkt, wie der Schöpfer der Sinne das Vermögen des Sehens und Gesehenwerdens am aufwändigsten gestaltet hat?

c6 ἐννενόηκας bedenken, bemerken → Stfc6 πολυτελής, -ές aufwändigc6 δημιουργέω bilden, gestalten
Οὐ πάνυ, ἔφη.
[Übersetzung]
Nicht wirklich, antwortete er.

10

d
Ἀλλ᾽ ὧδε σκόπει. Ἔστιν ὅτι προσδεῖ ἀκοῇ καὶ φωνῇ
γένους ἄλλου εἰς τὸ τὴν μὲν ἀκούειν, τὴν δὲ ἀκούεσθαι, ὃ
ἐὰν μὴ παραγένηται τρίτον, ἡ μὲν οὐκ ἀκούσεται, ἡ δὲ οὐκ ἀκουσθήσεται;
[Übersetzung]
Betrachte es doch so: Ist es möglich, dass Gehör und Stimme irgendeines anderen Elements zusätzlich bedürfen, damit das eine (= das Gehör) hört, die andere (= die Stimme) gehört wird, so daß, wenn jenes Dritte fehlt, das eine nicht hören, die andere nicht gehört werden kann?

c10 ἔστιν ὅτι Ist es möglich, dass: der Satz ist eine Frage — προσδεῖ + Gen. es ist zusätzlich nötigc11 γένους ἄλλου übs. mit Element; Platon lässt hier ganz offen, was dieses Element sein könnte – die Erklärung kommt gleich weiter unten (d11–e4) — εἰς τὸ τὴν μὲν ἀκούειν damit das eine hört; τὴν μέν (ἡ μέν) bezieht sich auf ἀκοῇ, τὴν δέ (ἡ δέ) auf φωνῇ —c11–d2 ἀκούειν – ἀκούεσθαι – ἀκούσεται – ἀκουσθήσεται → Stf
Οὐδενός, ἔφη.
[Übersetzung]
Nein, sagte er.


5
Οἶμαι δέ γε, ἦν δ᾽ ἐγώ, οὐδ᾽ ἄλλαις πολλαῖς, ἵνα μὴ εἴπω
ὅτι οὐδεμιᾷ, τοιούτου προσδεῖ οὐδενός. Ἤ σύ τινα ἔχεις
εἰπεῖν;
[Übersetzung]
Ich freilich glaube, fuhr ich fort, daß auch nicht viele andere Sinne, um nicht zu sagen keiner, eines solchen Elements bedürfen. Oder weißt du einen zu nennen?

d4 ἄλλαις πολλαῖς scil. Sinne — d5 οὐδεμιᾷ hier sind auch die Sinne gemeint, während τοιούτου … οὐδενός das „zusätzliche Element“ (c11) meint
Οὐκ ἔγωγε, ἦ δ᾽ ὅς.
[Übersetzung]
Ich jedenfalls nicht, antwortete er.

Τὴν δὲ τῆς ὄψεως καὶ τοῦ ὁρατοῦ οὐκ ἐννοεῖς ὅτι προσ­-
δεῖται;
[Übersetzung]
In Bezug auf den Sinn im Bereich des Sehens und des Sichtbaren, bemerkst du da nicht, daß dieser eines solchen Elements bedarf?

d8 ὁρατός sichtbar → Stfπροσδεῖται + Gen.: einer Sache zusätzlich bedürfen; erg. hierzu aus d5 τοιούτου
10
Πῶς;
[Übersetzung]
Wieso?



e
᾿Ενούσης που ἐν ὄμμασιν ὄψεως καὶ ἐπιχειροῦντος τοῦ
ἔχοντος χρῆσθαι αὐτῇ, παρούσης δὲ χρόας ἐν αὐτοῖς, ἐὰν μὴ
παραγένηται γένος τρίτον ἰδίᾳ ἐπ’ αὐτὸ τοῦτο πεφυκός, οἶσθα
ὅτι ἥ τε ὄψις οὐδὲν ὄψεται, τά τε χρώματα ἔσται ἀόρατα.
[Übersetzung]
Wenn irgendwo in den Augen Sehkraft ist und wenn derjenige, der sie hat, versucht, sie zu gebrauchen, und wenn weiterhin Farbe in ihnen (= den Augen) ist, dann wird, wie du weißt, die Sehkraft nichts sehen und die Farben werden unsichtbar sein, sooft nicht ein drittes Element, das eigens von Natur aus dafür existiert, anwesend ist.

d11–12 ᾿Ενούσης … ὄψεως – ἐπιχειροῦντος τοῦ ἔχοντος – παρούσης … χρόας übs. die Gen. abs. konditional; das χρῆσθαι hängt von ἐπιχειροῦντος versuchen ab — d12 ἡ χρόα, -ας Oberfläche, Farbe, hier: Farbee1 ἰδίᾳ eigense2 τὸ χρῶμα, -ατος Farbeἀ-όρατος un-sichtbar
Τίνος δὴ λέγεις, ἔφη, τούτου;
[Übersetzung]
Welches meinst du, fragte er.

῝Ο δὴ σὺ καλεῖς, ἦν δ’ ἐγώ, φῶς.
[Übersetzung]
Was du, sagte ich, Licht nennst.

5
᾿Αληθῆ, ἔφη, λέγεις.
[Übersetzung]
Richtig, sagte er.


508
Οὐ σμικρᾷ ἄρα ἰδέᾳ ἡ τοῦ ὁρᾶν αἴσθησις καὶ ἡ τοῦ ὁρᾶσθαι
δύναμις τῶν ἄλλων συζεύξεων τιμιωτέρῳ ζυγῷ ἐζύγησαν,
εἴπερ μὴ ἄτιμον τὸ φῶς.
[Übersetzung]
Nach keinem geringen Vorbild also sind die Sinneskraft des Sehens und die Fähigkeit des Wahrgenommenwerdens durch eine edlere Verbindung zusammengespannt als die anderen derartigen Entsprechungen, wenn freilich das Licht nichts Unedles ist.

e6  οὐ σμικρὰ ἰδέα ein nicht geringes Vorbild (αἰτιάομαι + Gen.) — a1  σύζευξις, -εως Verbindung, wörtl. Zusammenjochungτίμιος geehrt, ehrwürdig, edelτὸ ζυγόν Jochἐζύγησαν → Stf ἄτιμος Verneinung von τίμιος
᾿Αλλὰ μήν, ἔφη, πολλοῦ γε δεῖ ἄτιμον εἶναι.
[Übersetzung]
Weit gefehlt, dass es unedel wäre.


5
Τίνα οὖν ἔχεις αἰτιάσασθαι τῶν ἐν οὐρανῷ θεῶν τούτου
κύριον, οὗ ἡμῖν τὸ φῶς ὄψιν τε ποιεῖ ὁρᾶν ὅτι κάλλιστα καὶ
τὰ ὁρώμενα ὁρᾶσθαι;
[Übersetzung]
Welchen der Götter im Himmel weißt du nun dafür als Urheber anzugeben, dessen Licht in Bezug auf das Sehen uns so schön wie möglich sehen macht und bewirkt, dass das Gesehene gesehen wird.

a4 κύριον αἰτιάσασθαι als Urheber angeben (αἰτιάομαι + Gen.) — a5 ὅτι κάλλιστα (Adv.!) möglichst schön: ὅτι / ὡς beim Superlativ!
῞Ονπερ καὶ σύ, ἔφη, καὶ οἱ ἄλλοι· τὸν ἥλιον γὰρ δῆλον
ὅτι ἐρωτᾷς.
[Übersetzung]
Denselben wie du und alle anderen: Denn nach Helios (der Sonne) fragst du offenbar.

a8 ἐρωτάω τινά nach jmd. fragen; ordne: δῆλον γὰρ ὅτι τὸν ἥλιον ἐρωτᾷς
῏Αρ’ οὖν ὧδε πέφυκεν ὄψις πρὸς τοῦτον τὸν θεόν;
[Übersetzung]
Verhält sich also auf diese Weise der Gesichtssinn zu diesem Gott?

10
Πῶς;
[Übersetzung]
Wie?


b
Οὐκ ἔστιν ἥλιος ἡ ὄψις οὔτε αὐτὴ οὔτ’ ἐν ᾧ ἐγγίγνεται, ὃ
δὴ καλοῦμεν ὄμμα.
[Übersetzung]
Der Gesichtssinn selbst ist nicht die Sonne, noch das, in dem er sich befindet, was wir doch Auge nennen.

Οὐ γὰρ οὖν.
[Übersetzung]
Freilich nicht.

᾿Αλλ’ ἡλιοειδέστατόν γε οἶμαι τῶν περὶ τὰς αἰσθήσεις
ὀργάνων.
[Übersetzung]
Aber er ist das sonnenartigste aller Werkzeuge zur Wahrnehmung, glaube ich.

b3 ἡλιο-ειδής sonnen-artig
5
Πολύ γε.
[Übersetzung]
Bei weitem.

Οὐκοῦν καὶ τὴν δύναμιν ἣν ἔχει ἐκ τούτου ταμιευομένην
ὥσπερ ἐπίρρυτον κέκτηται;
[Übersetzung]
Also besitzt er das Vermögen, das er hat, aus dieser geliefert wie durch einen Zufluss?

b6 ταμιεύω bewirtschaften, liefernb6 ἐπίρρυτος zugeflossen; die Sonne ist gleichsam ein Zufluss
Πάνυ μὲν οὖν.
[Übersetzung]
Genau.


10
῏Αρ’ οὖν οὐ καὶ ὁ ἥλιος ὄψις μὲν οὐκ ἔστιν, αἴτιος δ’ ὢν
αὐτῆς ὁρᾶται ὑπ’ αὐτῆς ταύτης;
[Übersetzung]
Nicht wahr, die Sonne ist zwar nicht der Gesichtssinn, wird jedoch als seine Ursache von diesem selbst auch gesehen?

b9 ἆρ’ οὐ nicht wahr?
Οὕτως, ἦ δ’ ὅς.
[Übersetzung]
Ja, sagte er.



c
Τοῦτον τοίνυν, ἦν δ’ ἐγώ, φάναι με λέγειν τὸν τοῦ ἀγαθοῦ
ἔκγονον, ὃν τἀγαθὸν ἐγέννησεν ἀνάλογον ἑαυτῷ, ὅτιπερ αὐτὸ
ἐν τῷ νοητῷ τόπῳ πρός τε νοῦν καὶ τὰ νοούμενα, τοῦτο τοῦτον
ἐν τῷ ὁρατῷ πρός τε ὄψιν καὶ τὰ ὁρώμενα.
[Übersetzung]
Diese Sonne freilich, sagte ich, sage nur, meine ich mit dem Sprössling des Guten, den das Gute in Entsprechung zu sich selbst gezeugt hat: Was es selbst im Bereich des Denkbaren für das Denken und die Denkinhalte leistet, das leistet diese im Bereich des Sichtbaren für den Gesichtssinn und die Objekte des Sehens.

b12 φάναι imperat. Sinn: sage nurb13 ἀνάλογος entsprechend, übereinstimmendc1 ἐν τῷ νοητῷ τόπῳ τόπος meint hier Bereich; νοητός denkbar, gedacht; genauso ist dann das ἐν τῷ ὁρατῷ (c2) zu fassen.
Πῶς; ἔφη· ἔτι δίελθέ μοι.
[Übersetzung]
Wie?, sagte er, erkläre es mir noch weiter.


5
᾿Οφθαλμοί, ἦν δ’ ἐγώ, οἶσθ’ ὅτι, ὅταν μηκέτι ἐπ’ ἐκεῖνά τις
αὐτοὺς τρέπῃ ὧν ἂν τὰς χρόας τὸ ἡμερινὸν φῶς ἐπέχῃ, ἀλλὰ
ὧν νυκτερινὰ φέγγη, ἀμβλυώττουσί τε καὶ ἐγγὺς φαίνονται
τυφλῶν, ὥσπερ οὐκ ἐνούσης καθαρᾶς ὄψεως;
[Übersetzung]
Weißt du, sagte ich, dass die Augen, wenn jemand sie nicht mehr zu denjenigen Dingen wendet, auf deren Oberfläche das Tageslicht fällt, sondern zu denen in nächtlichem Schimmer, sehr stumpf sind und beinahe wie die von Blinden scheinen, als wäre keine reine Sehkraft in ihnen?

c5 ἡ χρόα vgl. 507 d12, hier: Oberflächeἡμερινός Adj. zu ἡμέρα Tages-…ἐπέχω τι sich verbreiten überc6 νυκτερινός Adj. zu νύξ Nacht-…τὸ φέγγος Mondschein, Schimmerἀμβλυώττω stumpf sein
Καὶ μάλα, ἔφη.
[Übersetzung]
Ja sicher, sagte er.

d
῞Οταν δέ γ’ οἶμαι ὧν ὁ ἥλιος καταλάμπει, σαφῶς ὁρῶσι,
καὶ τοῖς αὐτοῖς τούτοις ὄμμασιν ἐνοῦσα φαίνεται.
[Übersetzung]
Wenn man sie aber auf Dinge richtet, auf die die Sonne scheint, sehen sie genau, und in diesen selben Augen scheint Sehkraft zu sein.

d1 ὅταν setzt das ὅταν τις … τρέπῃ von c4ff. fort — καταλάμπω τινός niederscheinen auf, beleuchtend2 ἐνοῦσα bezieht sich auf ὄψεως aus c7
Τί μήν;
[Übersetzung]
Warum nicht?


5
Οὕτω τοίνυν καὶ τὸ τῆς ψυχῆς ὧδε νόει· ὅταν μὲν οὗ
καταλάμπει ἀλήθειά τε καὶ τὸ ὄν, εἰς τοῦτο ἀπερείσηται,
ἐνόησέν τε καὶ ἔγνω αὐτὸ καὶ νοῦν ἔχειν φαίνεται· ὅταν δὲ εἰς
τὸ τῷ σκότῳ κεκραμένον, τὸ γιγνόμενόν τε καὶ ἀπολλύμενον,
δοξάζει τε καὶ ἀμβλυώττει ἄνω καὶ κάτω τὰς δόξας μετα-
βάλλον, καὶ ἔοικεν αὖ νοῦν οὐκ ἔχοντι.
[Übersetzung]
So denke dir also auch die Sache bei der Seele dermaßen: Wenn sie sich auf das richtet, worauf die Wahrheit und das Sein scheint, bemerkt und erkennt sie es und scheint Vernunft zu haben; wenn aber auf das mit Finsternis Vermischte, das Werdende und das Vergehende, meint sie nur und ist stumpf, wechselt die Meinungen hin und her, und gleicht einem, der keine Vernunft hat.

d5 καταλάμπω τινός auf etwas (nieder)scheinenτὸ ὄν übs. hier mit das Seinάπερείδομαι εἰς sich richten aufd6 ὅταν δέ ergänze: ἀπερείσηται — d7 ὁ σκότος Dunkelheit, Finsternisκεκραμένον → Stfτὸ γιγνόμενόν τε καὶ ἀπολλύμενον philos. Fachtermini: das Werden und Vergehend7 ἄνω καὶ κάτω … μεταβάλλον (von oben nach unten =) hin und her wechseln
10
῎Εοικε γάρ.
[Übersetzung]
Ja, so scheint es.

e



5

509



5
Τοῦτο τοίνυν τὸ τὴν ἀλήθειαν παρέχον τοῖς γιγνωσκο-
μένοις καὶ τῷ γιγνώσκοντι τὴν δύναμιν ἀποδιδὸν τὴν τοῦ
ἀγαθοῦ ἰδέαν φάθι εἶναι· αἰτίαν δ’ ἐπιστήμης οὖσαν καὶ
ἀληθείας, ὡς γιγνωσκομένης μὲν διανοοῦ, οὕτω δὲ καλῶν
ἀμφοτέρων ὄντων, γνώσεώς τε καὶ ἀληθείας, ἄλλο καὶ
κάλλιον ἔτι τούτων ἡγούμενος αὐτὸ ὀρθῶς ἡγήσῃ· ἐπιστήμην
δὲ καὶ ἀλήθειαν, ὥσπερ ἐκεῖ φῶς τε καὶ ὄψιν ἡλιοειδῆ μὲν
νομίζειν ὀρθόν, ἥλιον δ’ ἡγεῖσθαι οὐκ ὀρθῶς ἔχει, οὕτω καὶ
ἐνταῦθα ἀγαθοειδῆ μὲν νομίζειν ταῦτ’ ἀμφότερα ὀρθόν, ἀγαθὸν
δὲ ἡγεῖσθαι ὁπότερον αὐτῶν οὐκ ὀρθόν, ἀλλ’ ἔτι μειζόνως
τιμητέον τὴν τοῦ ἀγαθοῦ ἕξιν.
[Übersetzung]
Dieses nun, was dem geistig Erkannten Wahrheit verleiht und dem Erkennenden das Erkenntnisvermögen gewährt, sage, sei die Idee des Guten; als Ursache von Erkenntnis und Wahrheit, sofern sie erkannt wird, denke sie, aber du wirst sie richtig auffassen, wenn du sie, nachdem beide, die Erkenntnis und die Wahrheit, schön sind, für etwas anderes und zwar noch Schöneres als diese beiden hältst. Was aber das Wissen und die Wahrheit betrifft: Wie es dort zwar richtig ist, das Licht und den Gesichtssinn für sonnenartig zuhalten, sie für die Sonne zu halten indes nicht richtig ist, so ist es auch hier richtig, diese beiden für gutartig zu halten, sie für das Gute zu halten aber nicht richtig, sondern die Beschaffenheit des Guten muss noch höher geschätzt werden.

e1–2 τὸ τὴν ἀλήθειαν … ἀποδιδόν ordne so: τὸ τὴν ἀλήθειαν τοῖς γιγνωσκομένοις παρέχον καὶ τὸ τὴν δύναμιν τῷ γιγνώσκοντι ἀποδιδόν; also zwei mit καί verbundene substantivierte Partizipien, die jeweils einen Akk. und einen Dat. bei sich haben — e3 φάθι → φημίe4 διανοοῦ auch Imperativ, hier mit Akk. αἰτίαν: als Ursache denkene6 αὐτό = ἡ τοῦ ἀγαθοῦ ἰδέα (e2f.) — e6f. ἐπιστήμην δὲ καὶ ἀλήθειαν … νομίζειν sie als Wissen und Wahrheit zu denken. Wissen und Wahrheit sind also Entsprechungen zu Licht und Gesichtssinn: beide sind sonnen-artig, aber nicht die Sonne selbst — a3 ἀγαθο-ειδής gut-artig; Wortbau genau dem ἡλιο-ειδής entsprechend — a5 ἡ ἕξις, -εως Beschaffenheit
᾿Αμήχανον κάλλος, ἔφη, λέγεις, εἰ ἐπιστήμην μὲν καὶ
ἀλήθειαν παρέχει, αὐτὸ δ’ ὑπὲρ ταῦτα κάλλει ἐστίν· οὐ γὰρ
δήπου σύ γε ἡδονὴν αὐτὸ λέγεις.
[Übersetzung]
Eine unvorstellbare Schönheit, sagte er, schilderst du da, wenn es Wissen und Wahrheit gewährt, selbst aber über diesen beiden steht an Schönheit; denn Lust ist es offenbar nicht, was du damit meinst.

a6 ἀμήχανος unvorstellbara7 κάλλει an Schönheit (über diesen stehen)

10
Εὐφήμει, ἦν δ’ ἐγώ· ἀλλ’ ὧδε μᾶλλον τὴν εἰκόνα αὐτοῦ
ἔτι ἐπισκόπει.
[Übersetzung]
Hüte deine Zunge, sagte ich: aber betrachte ihr Bild eher so.

a9 εὐφήμει Imp. („sprich gut“ =) hüte deine Zungea10 ἐπισκόπει ≈ σκόπει
b
Πῶς;
[Übersetzung]
Wie?

Τὸν ἥλιον τοῖς ὁρωμένοις οὐ μόνον οἶμαι τὴν τοῦ ὁρᾶσθαι
δύναμιν παρέχειν φήσεις, ἀλλὰ καὶ τὴν γένεσιν καὶ αὔξην
καὶ τροφήν, οὐ γένεσιν αὐτὸν ὄντα.
[Übersetzung]
Du wirst zugeben, glaube ich, dass die Sonne allen sichtbaren Dingen nicht nur das Vermögen verleiht, gesehen zu werden, sondern auch das Werden und das Wachsen und die Nahrung, wobei sie selbst kein Werden ist.

b2 τὰ ὁρώμενα („die Dinge, die gesehen werden“) das Sichtbareb3 φήσεις du wirst zugebenἡ αὔξη Zuwachs, Wachstumb4 οὐ γένεσιν αὐτὸν ὄντα wobei sie selbst kein Werden ist
5
Πῶς γάρ;
[Übersetzung]
Wie sollte sie!





10
Καὶ τοῖς γιγνωσκομένοις τοίνυν μὴ μόνον τὸ γιγνώσκεσθαι
φάναι ὑπὸ τοῦ ἀγαθοῦ παρεῖναι, ἀλλὰ καὶ τὸ εἶναί τε καὶ τὴν
οὐσίαν ὑπ’ ἐκείνου αὐτοῖς προσεῖναι, οὐκ οὐσίας ὄντος τοῦ
ἀγαθοῦ, ἀλλ’ ἔτι ἐπέκεινα τῆς οὐσίας πρεσβείᾳ καὶ δυνάμει
ὑπερέχοντος.
[Übersetzung]
So räume auch ein, dass den nur geistig erkennbaren Dingen nicht nur das Erkanntwerden von dem Guten zukommt, sondern dass sie auch das Sein und das Wesen von jenem zusätzlich haben, obwohl das Gute kein Wesen ist, sondern noch darüber hinaus das Wesen an Würde und Vermögen überragt.

b6 τὰ γιγνωσκόμενα („die Dinge, die geistig erkannt werden“) das (nur geistig) Erkennbareτὸ γιγνώσκεσθαι … παρεῖναι AcI, von φάναι abh. — b7 φάναι Imp.! (vgl. o. 508 b12) – φάναι ist das Prädikat; hier i. S. v. einräumen, zugebenτὸ εἶναί τε καὶ τὴν οὐσίαν das Sein und das Wesenb8 προσεῖναι zusätzlich vorhanden seinb9 ἐπέκεινα (Adv.) jenseits, darüber hinausἡ πρέσβεια Erhabenheit, Würde