Delphi (Δελφοῖ) und das Delphische Orakel

Das Delphische Orakel war das berühmteste Orakel der Antike. Dabei war es bei weitem nicht das einzige! Bekannte Orakel waren etwa:

Mythos

Entstanden ist das Orakel so: Gaia (die Erdmutter) gebar eine geflügelte Schlange (≈ Drache) namens Python. Dieser Python hatte hellseherische Fähigkeiten und wohnte dort, wo später Delphi entstand. Die Göttin Hera, eine Enkelin Gaias, hatte damals wieder einmal Grund zur Eifersucht: Ihr Gatte Zeus hatte mit Leto ein Verhältnis. Leto war schwanger und nach Gaias Vorhersage sollte sie Zwillinge gebären, die größer und stärker als Heras Kinder werden würden. Hera wollte die Geburt verhindern und schickte daher den Python, um Leto vor der Niederkunft zu verschlingen. Zeus schuf daraufhin zu Letos Schutz die „schwimmende Insel" Delos. So blieb sie vor Python verborgen und konnte ungehindert dort ihre beiden Kinder Apoll und Artemis zur Welt bringen.

Apoll machte sich nun auf, den Python zu jagen, um sich für dessen Versuch, seine Mutter zu verschlingen, zu rächen. Er kam an den Ort, der später Delphi sein würde, kämpfte dort gegen Python, besiegte und tötete ihn. Python vergoss dort sein Blut auf die Erde, weshalb der Ort Weissagekraft erhielt. So wurde Delphi zur Orakelstätte, und so wechselte die Herrschaft über den Ort von Gaia zu Apoll. Fortan wurde Apoll dort verehrt.

Der Apollontempel

Der Apollontempel, der usprünglich den höchsten Punkt des Temenos (von τέμνω = ich schneide: der abgegrenze heilige Bezirk, innerhalb dessen auch besondere Regeln und Gesetze galten) stand, war der Sitz des Delphischen Orakels. Berühmt war die Eingangshalle, in der die Inschriften der Worte der sog. „Sieben Weisen“ zu finden waren, darunter die beiden berühmtesten: ΓΝΩΘΙ ΣΕΑΥΤΟΝ (γνῶθι σεαυτόν [oder σαυτόν] – Erkenne dich selbst) und ΜΗΔΕΝ ΑΓΑΝ (μηδὲν ἄγαν – Nichts zuviel). Der Gott Apoll stand selbst als Personifikation für die Aufforderung zur Selbsterkenntnis. Sokrates hat sich diesen Spruch besonders zu eigen gemacht, indem er vom Menschen forderte, zuerst sich um die eigenen Tugenden und Werte zu sorgen, bevor er sich um die Phänomene in der Welt kümmert. Er hat die Menschen dazu angehalten, ihre Tugenden (ἀρεταί) zu betrachten und zu fragen, was Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit eigentlich sind.

Ablauf des Orakels

Geweissagt wurde in Delphi nur einmal im Monat. Weissagerin (ein Hinweis auf die ursprüngliche Zugehörigkeit des Ortes zu Gaia – siehe auch die Namensverwandtschaft zum Python) war die Pythia, eine Frau. Sie nahm, um sich kultisch rein zu machen, zuerst nackt ein Bad in der Kastalischen Quelle (Κασταλίη). Sie wurde in den Tempel geführt und soll dort auf einen Dreifuß über einem Erdspalt, aus dem irgendwelche Dämpfe emporstiegen, gesessen haben, wodurch sie in Trance geraten sein soll. Ihr wurden die Fragen der Orakelsuchenden vorgelegt. Aus ihren in Trance ausgestoßenen Lauten sollen die Priester des Apoll Orakelsprüche in Versform (Hexameter) geformt und diese den Orakelsuchenden verkündet haben.

Topographie

Delphi liegt an einem ziemlich steilen Hang. Vom Eingang führt eine „heilige Straße“ (ἱερὰ ὁδός) in Serpentinen hinauf zum Apollontempel. Dahinter liegt das Theater. An der Straße stehen viele Schatzhäuser, von denen heute das Schatzhaus der Athener, aus den originalen Steinen wiedererrichtet, zu besichtigen ist.

Schatzhauspolitik

Die Schatzhäuser dienten dem Zweck, die Geschenke der verschiedenen Städte (Poleis), Inseln und Stämme an den Gott in Delphi aufzunehmen. Sie wurden publikumswirksam in den Schatzhäusern dargestellt, um für sich Imagepflege zu betreiben und zu zeigen, wie reich man ist, wenn man so teure Geschenke nach Delphi senden kann. Dabei versuchten sich bestimmte rivalisierende Städte geradezu stets zu übertrumpfen und gegenseitig zu ärgern, indem man zum Dank für einen Sieg über die Rivalin ein prächtiges Siegeszeichen in Delphi als Weihegeschenk für Apoll aufstellte, das natürlich sakrosankt war und nicht zerstört werden durfte. So war der Besuch der unterlegenen Stadt in Delphi stets zugleich eine Demütigung.

Wem gehörte Delphi?

Da in Delphi sehr viele Schätze versammelt waren, wurden um diesen Ort auch immer wieder Kriege geführt. So gab es vier sog. „Heilige Kriege“. Delphi wurde immer wieder geplündert, zuletzt wohl vom römischen Kaiser Nero, der vermutlich 500 Statuen wegschaffen ließ, um eigene Gebäude in Rom damit zu schmücken. Zum Schutz der Heiligtümer und der Schätze wurde eine Amphiktyonie der umliegenden griechischen Stämme (z. B. Doloper, Thessalier, Ainianen, Phoker, Lokrer, Dorer, Böotier, Ionier usw.) gebildet, die die Oberhoheit über Delphi und die dort stattfindenden Pythischen Spiele hatte.

Bilder

Hier einige Bilder vom heutigen Delphi und von Rekonstruktionsversuchen. Klicke auf die Bilder, um sie zu vergrößern.


Modell des Temenos (des heiligen Bezirks) von Delphi

                   
Das Schatzhaus der Athener: Zwei Ansichten und eine Rekonstruktionszeichnung, wie man sich die Präsentation der Schätze vorstellt

         
Der Apollontempel: Die Reste, wie sie heute zu sehen sind, und eine Rekonstruktionszeichnung

         
Das Theater – Blick von der Orchestra auf das Koilon (die Zuschauerränge) und eine Ansicht von überhalb,
auf der das Theater, der Apollontempel und das Schatzhaus der Athener zu sehen sind

         
Das berühmteste Postkartenfoto von Delphi! Aber diese Säulen stehen nicht in Delphi selbst, sondern ca. 500 m vor Delphi,
wenn man aus Athen anreist. Es ist das Vor-Heiligtum der Athena (Athena Pronaia). Dennoch identifiziert jeder diese drei berühmten (wiederaufgerichteten!) Säulen mit Delphi (sogar Wikipedia bringt dieses Bild als erstes im Artikel „Delphi“!).